Jeder Motorsportler kommt früher oder später in die Situation, einen Gegner überholen zu wollen. Während man die Gerade herunter- und auf den nächsten Bremspunkt zufliegt, fragt man sich: Soll ich oder soll ich nicht? Ist die Lücke bzw. mein Vorteil groß genug oder riskiere ich einen Crash?
Motorsport ist ein Sport an der Grenze des physikalisch Möglichen. Eine Kurvenkombination sollte immer in der schnellstmöglichen Geschwindigkeit durchfahren werden, um die geringste Zeit zu benötigen und am Ende am schnellsten zu sein.
Ein guter Fahrer bewegt sich also immer an der Haftungsgrenze seines Fahrzeugs. Fährt er nur noch einen Tick schneller, verliert sein Bolide an Haftung und er kann die Geschwindigkeit nicht halten bzw. muss von seiner Linie abweichen.
Im Zweikampf ist dies besonders heikel. Der vordere Fahrer fährt meist komplett am Limit, während der Hinterherfahrende, der überholen möchte, noch Reserven hat und merkt, dass er noch ein bisschen schneller fahren könnte. Nun muss der Hinterherfahrende sein Manöver so timen, dass er den langsameren Fahrer vor sich sauber überholen kann. Gelingt ihm dies nicht, riskiert er eine Kollision.
Warum? Wenn der Hinterherfahrende sich einmal dazu entschieden hat, sehr spät zu bremsen und der Vorausfahrende dann noch in der Lage ist, die Lücke, in die der Hinterherfahrende sticht, zu schließen, wird der Hinterherfahrende große Schwierigkeiten haben eine Kollision zu vermeiden. Beispiele gefällig?
Beispiel Nr.1: https://youtu.be/TUAPI3t_9Kg?t=1m
Beispiel Nr.2: https://youtu.be/t7Zqay74shA?t=2m2s
Ab einem bestimmten Punkt greifen dann die physikalischen Gesetze und eine Kollision ist nicht mehr zu vermeiden. Daher ist es unerlässlich, in diesen Momenten die richtige Entscheidung zu treffen.
Allerdings ist dies nicht einfach. Die Gelegenheiten, zu denen man überholen kann, variieren. Es gibt nun einmal verschiedene Punkte auf einer Rennstrecke. An manchen lässt sich gut überholen, an anderen weniger gut. An manchen ist man dem Gegner weit überlegen, an anderen vielleicht sogar unterlegen. Also ist es ganz natürlich, dass sich von Zeit zu Zeit Überholfenster öffnen und auch wieder schließen. Die Kunst liegt darin, diese Fenster zu erkennen und die Überholmanöver dann durchzuziehen, wenn sie am weitesten geöffnet sind.
Diese Entscheidung, die oftmals in Sekundenbruchteilen getroffen werden muss, wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst. Um den Rahmen dieses Blogbeitrags nicht zu sprengen, möchte ich hier drei herausgreifen und dir zumindest für diese einige Tipps an die Hand geben:
1. Bewusstmachung:
Mache dir so schnell wie möglich bewusst, an welchen Stellen des Kurses du deinem Gegner überlegen bist bzw. sein wirst. Manchmal hast du nicht die Zeit, ein Überholmanöver lange vorzubereiten (Siehe Blogartikel vom 27.07.2017: "Wie der Faktor Zeit deine Überholmanöver beeinflusst.").
Daher gilt es, sich so schnell wie möglich ins Bewusstsein zu rufen, wo Überholfenster aufgehen könnten und wo nicht. Je früher dir das gelingt, desto eher kannst du dir einen Punkt auf der Strecke als Überholpunkt zurecht legen und dich auf das Manöver fokussieren. Fehlt dir das Bewusstsein dafür, wo eine Attacke am sinnvollsten durchgeführt wird, handelst du nur noch instinktiv. Dies führt sicherlich ab und an auch zum Erfolg und die wirklich guten Fahrer können sich meist auf ihren Instinkt verlassen – aber eben nicht immer. Je besser die Vorbereitung – und als deren erster Schritt die Bewusstmachung – desto erfolgversprechender ist dein Manöver.
2. Überraschung:
Gibt es Stellen auf der Rennstrecke, an denen dein Gegner vielleicht nicht mit einem Angriff rechnet? Überlege, wie du deinen Gegner überraschen kannst. Insbesondere wenn dein Gegner sich seiner Schwächen und deiner Stärken bewusst ist, kann er sich an den Stellen, an denen deine Überholchance theoretisch am größten ist, darauf einstellen und dir somit das Leben schwer machen. Wenn du dann eine Möglichkeit findest, an einer Stelle zum Überholmanöver anzusetzen, an der dein Gegner nicht damit rechnet, hast du noch etwas in der Hinterhand, sollte dein Gegner sich stark wehren. Hier ein Beispiel (Massa vs. Senna): https://youtu.be/pDmcNHkVYJc?t=1m17s
3. Fokus:
Wenn man jemandem hinterherfährt, ist es sehr oft so, dass man sich an ihm orientiert. Das ist bis zu einem gewissen Grad auch sehr gut, weil man so seine eigenen Brems- und Einlenkpunkte noch besser trifft. Ab einem gewissen Grad ist es allerdings auch sehr leicht irreführend. Denn wenn du ein Überholmanöver setzen möchtest, musst du dich auf deine eigenen Brems- und Einlenkpunkte konzentrieren und darfst dich nicht – wie in den Runden, in denen du hinter ihm hergefahren bist – am Gegner orientieren. Allerdings darfst du das, was der Gegner macht, auch nicht komplett aus den Augen verlieren. Die Kunst besteht hier also darin, dich auf deine eigenen Brems- und Einlenkpunkte zu konzentrieren, während du den Gegner beobachtest und auf ihn reagierst. Sei dir dieser Situation und dieser Schwierigkeit bewusst, wenn du auf deinen Gegner aufläufst!
Diese Liste an Faktoren ließe sich beliebig fortsetzen. So ist sicherlich auch je nach Gegnertyp die Herangehensweise an ein Überholmanöver unterschiedlich. Oder Überrundungsmanöver spielen das berühmte Zünglein an der Waage. In weiteren Blogbeiträgen werden wir noch auf diese und viele weitere Faktoren eingehen.
Nun sind wir aber zunächst auf eure Kommentare gespannt: Wie geht es euch unmittelbar vor einem Überholmanöver? Was geht euch durch den Kopf?
Kommentar schreiben
Werner (Freitag, 15 September 2017 18:16)
Bei einem Überholmanöver spielen denke ich Emotionen eine sehr große Rolle.Man versucht wie du sehr schön beschrieben hast,den Gegner an der besten Stelle zu überraschen.Ich persönlich werde immer sehr schnell nervös,wenn der Vorausfahrende einige Versuche blocken kann.Dann merke ich sehr schnell,das man sich aus dem Bauch heraus zum überholen entschieden hat.Wenig überlegt,viel riskiert,und dann meist gescheitert.
Ich sehe dein Scenario für mich selbst aber auch aus einer anderen Perspektive.Nämlich als den zu überholenden.Man möchte natürlich vorne bleiben,und wird auch alles dran setzen.Ich rede nicht von einem Fahrer ,der sowieso wesentlich schneller ist.Sondern ein gleichwertiger Gegner.Wenn man in dieser Situation nicht den klaren Kopf behält,und richtig entscheiden,kann man sich nicht lange wehren.Für mich persönlich nicht ganz einfach,diesem Druck stand zu halten...
Dominik (Montag, 02 Oktober 2017 21:08)
Hallo Werner,
danke für deinen Kommentar. Du hast Recht. Auch als Vorausfahrender gibt es sicherlich verschiedene Aspekte und Herangehensweisen, die man beachten sollte. Du findest z.B. hier ein paar erste Hinweise: https://www.clever-racer.com/buch/situation-11/
Oder auch hier: https://www.clever-racer.com/2017/09/07/wie-du-einen-verfolger-absch%C3%BCtteln-kannst/
Aber wir werden in Zukunft auch noch weitere Blogartikel zu dem Thema veröffentlichen.